Dienstag, 8. August 2023

07. August 2023, Von Byxelkrok (Insel Øland) nach Kalmar

Montag, 07. August


Um 06:00 klingelt der Wecker. Ich komme mir vor, als würde ich gerade aus dem Koma aufwachen. Klare Gedanke fallen mir schwer - einfache Handgriffe ebenfalls. Ich schaue noch einmal in den aktualisierten Wetterbericht und hoffe insgeheim es gäbe einen guten Grund nicht losfahren zu müssen. Den gibt es aber nicht und außerdem weiß ich ja, dass ich bei dem anstehenden, schweren Sturm am Dienstag auf keinen Fall mehr in diesem Hafen (Byxelkrok) liegen sollte. Widerwillig bereite ich mich auf die Abfahrt vor und bin vor Müdigkeit, wie von Sinnen. Vergesse dies, vergesse jenes, obwohl ich mir wieder eine kleine Checkliste vorbereitet habe, die ich dann aber aus Unkonzentriertheit nicht ordentlich abarbeite. So muss ich dann noch etliche Handgriffe erledigen, als ich bereits die Segel setzen möchte. Zum Glück geht nichts weiter schief. 

 

Kurz nach dem Ablegen in Byxelkrok

Klarschiff machen, während der Autopilot hinaus steuert.

Ich fahre dicht an der Küste entlang. Meistens beträgt der Abstand nur ein bis drei Kilometer. Ich bin verblüfft, wie gut die Segelvoraussetzungen heute sind. Selbst in der Landabdeckung habe ich nie weniger als 11-13 kn (4 Bft) "Grundwind". Die Böen schwanken dann, je nach Ort zunächst um 15 kn, später, weiter im Süden, zwischen 17-19 kn (5 Bft) und in einzelnen Spitzen 22 kn, während sich keine nennenswerte See aufbauen kann, da ich im Westen von Öland auf der Leeseite der Insel unterwegs bin. Perfekte Bedingungen, um heute richtig Strecke zu machen.

Bis ich so richtig in Stimmung komme dauert es dennoch, denn der Himmel zeigt sich grau in grau; fast den gesamten Tag.

Blauer Himmel ist dann eine Ausnahme für wenige Minuten ...

Auf Sichtweite bin ich das einzige Boot, das derzeit unterwegs ist. Schon kommt die Frage auf: Wissen die anderen Segler etwas, das ich nicht weiß?   

Auf dem Plotter sind die einzigen AIS-Kontake im 10 sm Umkreis: 1 Containerschiff, 1 Fähre und ein Schlepper, der gerade in 3 sm Entfernung in nördlicher Richtung an mir vorbeifährt. Er ist als manövrierbehindert gekennzeichnet. Ich greife zur Kamera und zoome an den Schlepper ran. Ah, es ist ein "Gespann", denn über eine mehrere 100 m lange Trosse schleppt er eine Schwimmplattform hinter sich her. Die Plattform besitzt vier "Füße", die gerade senkrecht hochgefahren sind; in der Mitte steht ein Bagger. Solche Schwimmplattformen werden dazu benutzt, um versandete Fahrwege wieder freizubaggern. Dafür werden die "vier Beine" der Plattform bis auf den Grund abgelassen und verpresst. Danach schwimmt die Plattform nicht mehr, sondern steht im Wasser, wodurch sie auch nicht abtreiben kann. Dann holt der Bagger mit seinem Greifarm den Aushub nach oben.


Gegen halbneun komme ich dann an der Blå Jungfrun, der Blauen Jungfrau , vorbei, einer Insel, die mitten im nördlichen Kalmarsund zwischen dem Festland und der Insel Öland liegt.


 Noch ist es relativ ruhig. Eine gute Gelegenheit für ein kleines Frühstück ...



Die Segel verlangen heute besondere Aufmerksamkeit, denn laut Wetterbericht soll es Böen bis zu 27 kn (gerade noch 6 Bft) geben. Also passe ich diverse Male die Segelfläche an die jeweiligen Bedingungen an und trimme ständig nach, was ich sonst eher lockerer nehme.

 

 Nach gut vier Stunden und 30 sm komme ich gegen Mittag auf Höhe des Ortes Borgholm an der gleichnamigen Schlossruine Borgholm vorbei ...

 

 


Und wieder ein Segeltrimm ...

 Da ich AmWind, also mit Wind von schräg vorne, unterwegs bin, trage ich gerne meine Skibrille, die das Tränen der Augen verhindert, wodurch ich die Instrumente am Steuerstand und die Seekarten deutlich besser ablesen kann.


 


 Die Windstärke nimmt nach Süden hin immer weiter zu und Ari macht (ohne Nebeneffekte wie Strömung oder das Surfen in Wellen) sehr gute achteinhalb Knoten (knapp 16 km/h) Fahrt. Diese Geschwindigkeit mag für den einen oder anderen Leser lächerlich klingen, aber selbst die "Formel 1 unter den Sportsegelbooten" schafft gerade mal die rund vierfache Geschwindigkeit, und dafür werden dort viele Millionen in so einen Racer investiert. Ich bin also mehr als zufrieden.


 Auch könnte die Frage aufkommen, ob es nicht langweilig sei, Dauerhaft mit maximal 16 km/h Geschwindigkeit voran zu kommen.   NEIN, ist es nicht!   Ich mache dann gerne folgenden Vergleich.  Das Geschwindigkeitsempfinden ist halt subjektiv.  Alle, die schon einmal mit einem Geländewagen in wirklich schwerem Gelände unterwegs waren, werden wissen wovon ich rede. Dort ist man oft nicht einmal mit Schrittgeschwindigkeit unterwegs, wenn das Fahrzeug in der entsprechenden Getriebeuntersetzung und 35% Neigungswinkel über medizinballgroßes Geröll fährt. Bei vielleicht 2 km/h Geschwindigkeit kommt dort eher die Frage auf, ob man nicht langsamer fahren sollte. Dennoch wird hinterher niemand sagen, es sei auch nur eine Sekunden langweilig gewesen in diesem Fahrzeug zu sitzen. Erst recht nicht, wenn man selbst am Steuer saß.   Beim Segeln ist das ähnlich und bei viel Wind und Welle der letzte Gedanke der, ob es auch noch schneller ginge.

 

Dann kommt mir auf den letzten 6 sm tatsächlich ein Segler entgegen, der mit entspanntem achterlichen Wind, Richtung Norden, den Kalmarsund hochsegelt.

 


Um Viertel vor zwei bin ich dann schon an der Kalmarsundbrücke, die eigentlich Ølandsbron (Ölandbrücke) heißt. Die Segel habe ich bereits eingeholt, denn eine gute Seemeile später ist ja auch schon der Abzweig in den Hafen von Kalmar und unter solchen Bauwerken gibt es oft starke Luftverwirbelungen, weswegen ich eine Unterquerung unter Segeln nur bedingt gut finde.


 Ein Foto, ohne das es nicht geht, wenn man in den Hafen von Kalmar einfährt ...

Die sechs KALMAR-Lettern vor dem Gebäude des Landesmuseums
 

Wie zu erwarten war, ist der Hafen von Kamar annähernd ausgebucht. Einen regulären Liegeplatz gibt es für Ari nicht mehr, jedoch kommt mir gerade ein Harbour Pilot  in seinem RIB-Boot entgegen. Harbour Piloten sind vom Hafen angestellte, meist Jugendliche, die dafür bezahlt werden, neuankommenden Yachten einen geeigneten Liegeplatz zuzuweisen. Genau das tut er auch und so erhalte ich einen Liegeplatz, den ich mir mit einer anderen Yacht an der Mooringboje teile.

Dieser "Notliegeplatz" ist eng und bei den Böen nicht leicht anzufahren. Ich bitte den Piloten, meinen Mooringhaken für mich in die Mooringboje einzuhaken, damit ich mich auf die Ansteuerung konzentrieren kann. Das tut er auch und so wird das Ganze dann fast zum Kinderspiel ...

Anfahrt in die Lücke

Ich habe Glück. Ein Passant, der hier anscheinend selbst sein Boot zu liegen hat, stellt sofort seine Einkaufsbeutel am Boden ab, um Ari am Bug zu halten, während mein freundlicher niederländischer Bootsnachbar, rechts, ebenfalls alles stehen und liegen lässt, um zu helfen.

 Das Foto oben suggeriert allerdings deutlich mehr Eile und Aufregung, als es tatsächlich gab. Es ist halt nur der Ausschnitt aus einer Gesamthandlung, oder wie Marcel Reich-Ranicki ("Literaturpabst") es einmal ausdrückte: Die wahre Bedeutung des Wortes Pornografie.

 

Ich zumindest bin absolut zufrieden und glücklich, dass hier alles so gut geklappt hat und deswegen gibt es auch zwei Daumen hoch ...

 
Auch vom Seglerischen her, gibt es nichts zu beanstanden. Und das ist mein heutiger Liegeplatz ...

 ... der von der nahegelegenen Straße her, so aussieht ...


 Zur Rechten dann das Harbour Office und die zum Hafen gehörigen Servicegebäude mit Sauna, Duschen, etc.

 

 Nach dem Bezahlen der Hafengebühr, mache ich mich noch kurz auf in die Stadt, um bei Hemköp (schwedische Supermarktkette) nach Kardamomknuts zu schauen. Was soll ich sagen ... es gibt sie wieder ...


 Kardamom ist ja auch Bestandteil des typschen Weihnachtsgebäcks in Deutschland. Wenn wir die Bäckermeisterin in Helsinki richtig verstanden haben, sind Kardamom-Knuts/-Bullar oder wie immer auch sie an den einzelnen Orten Skandinaviens genannt werden, Saisonartikel für die zweite Jahreshälfte und kommen wohl erst ab August in die Auslagen der Geschäfte.

Zum Abendbrot gibt es dann bei mir Entrecote an geschmorten Worchester-Zwiebeln mit grünem Pfeffer und Criss Cross Pommes.

Das Entrecote, das ich in Byxelkrok gekauft hatte, war absolut zart und lecker (Steakhaus-Qualität!). Eines habe ich ja noch in der Kühlbox ... 😊

 

Wie immer, gibt es an dieser Stelle nur noch den Track des letzten Törns, also hier von Byxelkrok nach Kalmar.


 Die tatsächliche Fahrzeit lag bei unter 6:45 Stunden für die 47,6 Seemeilen durchs Wasser (46,5 sm nach GPS). Das macht eine Durchschnittsgeschwindigkeit von mindestens 7,1 kn. Nicht schlecht für einen Cruiser.


Ich bin ja bereits einen Tag weiter, denn während ich das schreibe ist ja schon Dienstag, der 8. August. Es ist gegen 13:00 Uhr, während selbst hier im Hafen Sturmböen durchziehen, denn für Kalmar sind Böen bis 70 km/h, also Windstärke 8 bzw. 8 Bft, angesagt. Das fühlt sich hier allerdings deutlich angenehmer als in Byxelkrok an, da es hier im Hafen keine spürbare Wellenbewegung gibt.

Wann es weiter geht weiß ich noch nicht. Ich behalte das Wettergeschehen im Auge und überrasche mich dann mal wieder selbst. Bleibt gespannt - ich bin es auch.

Euer Harry

 

 

 

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