Mittwoch, 6. Juli 2022

04. + 05. Juli 2022 Von HALMSTAD nach NEUHOF

Montag, 4. und Dienstag, 5. Juli


Es ist gerade halbsechs Uhr morgens. Eine halbe Stunde bevor mein Wecker klingelt, werde ich wach. Noch im Liegen geht mein erster Blick nach oben durch die Luke über meiner Koje. Zwischen dicken Regenwolken blinzelt an einer Stelle die Sonne durch. Ich fühle mich ausgeruht, stehe auf und öffne das Schiebeluk zum Cockpit. Dort sieht es gerade so aus ...

Und etwas später regnet es ...

Ich höre Donnergrollen in weiter Entfernung. Es scheint, als hätten heute beide Wettermodelle recht, obwohl sie doch scheinbar so unterschiedlich waren. Gestern hatte ich ausführlich die Vorhersagen von ECMWF, dem "Europäer" und GFS dem "US-Wetterdienst" verglichen. Anhand des Wetters von heute morgen wollte ich entscheiden, welchem Wetterdienst ich für meinen heutigen Törn das Vertrauen schenke.

Nach ECMWF sollte es heute morgen in der Zeit von 5:00 bis mindestens 8:00 Uhr kräftigen Regen und Gewitter geben. GFS prophezeite für die selbe Zeit nur Regen. Offensichtlich befinde ich mich hier an einer Wettergrenze. Etwas westlicher gewittert es tatsächlich. Hier regnet es nur. Wäre das also auch geklärt.

Insgesamt werden die kommenden 24 Stunden in meinem Fahrtgebiet sehr wechselhaft sein. Der Wind weht recht beständig aus West bis Südwest, seine Stärke variiert zwischen 6 Knoten (2 Beaufort) und 22 Knoten (6 Beaufort) in den Böen.

Ich schaue nach oben auf den Verklicker im Masttopp und gleiche dann mit dem Kompass ab - wir haben Südwind. Der Wind sollte um diese Zeit eigentlich schon mindestens auf Südwest gedreht haben. Südwind wäre ärgerlich, wenn man nach Süden segeln möchte. Doch noch während mir dieser Gedanke durch den Kopf geht, pendelt sich der Anzeiger Stück für Stück in die "richtige" Himmelsrichtung.


Windex Verklicker 10 (Länge: 250 mm, Geeignet für: Mast-Topmontage) 

Der Verklicker ist ein Windanzeiger auf einem Segelboot. Er gibt die Richtung des scheinbaren Windes an. Verklicker wie dieser (Foto), werden an der Mastspitze montiert.


Da der Wind am frühen Morgen ohnehin noch schwach sein soll, habe ich es nicht eilig. Ich mache mir einen Pott Kaffee und esse dazu Vanillejoghurt mit Müsli. Währenddessen bereite ich schon mal mein Logbuch vor, indem ich einige aktuelle Daten und natürlich den Wetterbericht eintrage.

Halbsieben. Es regnet jetzt stärker. Ich überlege, wann wohl der beste Zeitpunkt für den Start ist. Bis spätestens acht Uhr möchte ich abgelegt haben, denn gegen Mittag kommt im südlichen Kattegat regional Starkwind auf. Bis dahin möchte ich auf jeden Fall schon im Øresund sein.

Gegen sieben Uhr fällt mir auf, dass ich das Donnern seit einiger Zeit nicht mehr gehört habe. Es regnet nur noch leicht und von Westen her lockert es ein wenig auf und stellenweise ist schon etwas Blau am Himmel zu sehen. Die offizielle Halmstad-Temperatur wird von meinem Handy aktuell mit 17°C angegeben, das ist gut.

Ich mache klarschiff. Erst wird innen alles seegerecht verstaut, dann bereite ich außen alles zum Ablegen vor. 

07:26 - Klar zum Ablegen. Ich starte den Motor, löse die letzte Leinenverbindung zum Land und ziehe Ari im Rückwärtsgang langsam aus der Box. Jetzt müssen noch die Fender von der Reling abgenommen und verstaut werden. Der Stadthafen in Halmstad ist günstig, weil der Nissan (Fluss) hier an die 100 Meter breit ist. Ich habe also reichlich Platz, lasse Ari unter Autopilot in kleinster Fahrt laufen, während ich an Deck alles seeklar mache.

Kaum losgefahren gibt es schon Stau. Im Vorhafen ist gerade die Stena Nautica, eine Personenfähre der Stena Line, dabei zu wenden.

  fährt unter anderem zweimal täglich die Verbindung  Halmstad - Grenaa (Dänemark).


Gegen acht habe ich dann den Hafen verlassen und kann eine Viertelstunde später bei 11 Knoten Westwind volle Segel setzen. Bei einem Kurs von 222° (südwest) gerade so direkt segelbar. Doch bereits in 10 sm, also nach etwa anderthalb Stunden, kann ich auf einen günstigeren Kurs gehen und auf 197° abfallen, sagt meine Routennavigation auf dem Tablet.

Oben: Ein zufriedener Harry

Unten: Der Track von Halmstad nach Neuhof  -  also die GPS-Aufzeichnung der Route, wie ich sie tatsächlich gesegelt bin.

 


Warum segle ich so weite Bögen und nicht den kürzesten Weg? 

Wenn man in die elektronische Seekarte hinein zoomt, stellt man fest, dass es in der Ostsee viele Untiefen gibt, die ich auch mit knapp zwei Metern Tiefgang nicht mehr befahren kann. Des Weiteren sind da noch ausgedehnte Windparks, Verkehrstrennungsgebiete, Sperrgebiete der Marine, Sperrgebiete aus Naturschutzgründen, etc.

Das VTG (Verkehrstrennungsgebiet) südlich Kopenhagen habe ich mal in lila (original ist immer magenta) nachempfunden und in die Seekarte oben eingebastelt.

Die freie See ist manchmal weniger frei als man glauben könnte.


Die Entfernung zwischen Halmstad und Neuhof beträgt übrigens:

144 sm (267 km) Luftlinie

162 sm (300 km) auf der von mir gewählten Route (gefahrene Meilen nach GPS)

170 sm (315 km) auf der selben Route mit Gegenströmung (gefahrene Meilen durch´s Wasser)


Diese Wolken verheißen nichts Gutes.


Doch noch bin ich ja erst am Anfang dieses Törns. Es ist dreiviertel neun. Die Stena Nautica hat sich inzwischen 7,5 sm (knapp 14 km) von mir abgesetzt und verschwindet langsam im Dunst Richtung Dänemark. Es regnet wieder.

Ich segle derzeit noch auf die kleine Insel westlich von Torekov zu. Den Kurs, um um die Insel herum zu kommen, kann ich kaum noch halten, weil der Westwind bereits etwas südlicher gedreht hat. Näher kann ich an die Insel wegen ihrer Untiefen und der unter Wasser liegenden Felsen, nicht heranfahren. Ich hatte vorher bereits erwogen, die Passage zwischen dem Hafen Torekov und der vorgelagerten Insel zu nehmen. Dieser Weg steht vom Winkel her seglerisch günstiger zum Wind. Mein momentanes Problem, den Kurs kaum halten zu können, würde sich dadurch nur nach hinten verschieben, denn südwestlich der Passage muss ich noch ein Kap umsegeln. Spätestens dort steht für mich der Wind mindestens so ungünstig wie derzeit.

Für die Nichtsegler: Wie hoch kann man "am Wind", also mit Wind von schräg vorne, segeln? Das ist je nach Bauart des Segelbootes etwas unterschiedlich. Für den Großteil der "normalen" Segelboote gilt, dass ein Winkel von 45° zum entgegenkommenden Wind noch gerade so segelbar ist.

Das bedeutet in diesem Fall bei Westwind, also Wind aus 270°, dass ich unter Segeln den Bereich zwischen 315° (270°+ 45°) und 225° (270°- 45°) nicht erreichen kann.

Diese Grafik ist natürlich auf alle Windrichtungen anwendbar. 😉


Ich mache derzeit bei 11 Knoten Wind (4 Beaufort) gerade mal 5 Knoten (9,2 km/h) Fahrt. Das liegt aber auch daran, dass mir die See (Welle) mit geschätzt 0,7 Metern ebenfalls aus Westen schräg entgegenkommt. Das bremst die Fahrt.

Doch letztendlich segelt man ja auch, um diese Herausforderungen zu meistern. Zu überlegen: Wie bekomme ich es ohne Motor hin an mein nächstes Etappenziel zu kommen. Theoretisch kommt man an jeden Ort auch ohne Motor, denn man kann aufkreuzen, das heißt: so oft durch Wenden im Neunzig-Grad-Winkel die Richtung ändern, bis man dort ist, wo man hin will. Ich möchte mir das jedoch sparen, weil ich noch rund 300 km und 24 Stunden Fahrt ohne Schlaf vor mir habe.

Irgendwann geht es aber ohne Aufkreuzen nicht mehr und ich entscheide mich, für 7 Minuten und etwa eine Seemeile Entfernung den Diesel "dazuzuschummeln" damit ich um die Insel vor Torekov herumkomme.

10:15 - Motor aus. Ich habe den Leuchtturm besagter Insel an backbord querab (also in einem Winkel von 90° zur Fahrtrichtung auf der linken Seite). Ich habe meinen Kurs von 222° auf 197° geändert (bezogen auf den Wind bin ich abgefallen). Der neue Kurs lässt mich entspannter segeln. Bei 13 kn Wind mache ich jetzt gute 7,5 kn Fahrt. Der Himmel ist leicht bewölkt und der Handy-Wetterbericht meldet 19° C für die Region. So macht segeln noch mehr Spaß ...


Da gönne ich mir doch gleich mal einen KNOPPERS-Riegel und genieße.

11:28 - Ich segle vorbei am Kap Kullen, das nordwestlich von Höganäs (s. Karte) liegt. Dort mache ich dieses Foto. Die schlechte Qualität liegt zum einen an der Entfernung von rund 3 Kilometern, dem in der Welle rollenden Boot und der heute wirklich ungünstig stehenden Mittagssonne, die für dieses Gegenlicht verantwortlich ist. 😉   So kann ich nicht arbeiten ...


Ich kreuze jetzt von Schweden rüber auf die dänische Seite, dort, wo das Kattegat in den Øresund übergeht. Hier teilt sich der Verkehr der Großschifffahrt in Y-Form auf. Glücklicher Weise ist im Augenblick nicht viel los und ich kann ungehindert "die Seite wechseln". 

Wie schon einige Male erwähnt, muss auf See die Großschiffahrt einem unter Segeln fahrenden Boot ausweichen. Insoweit besteht für mich genaugenommen keine besondere Veranlassung. Es ist viel mehr ein ethischer Ansatz, der mich dazu aufruft beim Kreuzen der Kurslinien großer Schiffe auch das Stichwort (für die jüngeren Leser: altmodisch für hashtag) Verhältnismäßigkeit im Auge zu behalten. So ein durchschnittlich großer Frachter, Tanker oder Fähre hat um die 200 Meter Länge und steuert sich nicht wie ein Kart auf der Kartbahn.

Ohnehin gilt auf See, dass man durch das frühzeitige und klare Verhalten dem anderen signalisiert, was man zu tun vor hat. Des öfteren stellt sich dann die Frage: Wie mache ich dem jetzt klar, dass ich dieses oder jenes vorhab? Es gibt fast immer eine Geste durch die Steuerung des eigenen Bootes, die jeder versteht. Das spart Funksprüche und läßt die Frequenz frei für Wichtiges.

Immer wieder wechselt das Wetter sein Gesicht ...

 

Es ist etwa Viertel nach Zwei, als ich das Schloss Kronborg in Helsingør an steuerbord querab habe. Bekannt ist das Schloss auch als „Hamletschloss“, da William Shakespeare hier die Handlung seines Schauspiels Hamlet ansiedelte.


Der Wind kommt hier etwas südlicher als südwest und südlich des Kaps bei Helsingør kann ich wieder nur mit Mühe überhaupt amwind segeln, doch es muss gehen, denn zum kreuzen ist kein Platz und Motoren kommt nicht in Frage.

Dann fällt die Windstärke zeitweise auf 6 Knoten (2 Bft.) ab. Eine Viertelstunde später sind es wieder 12 Knoten (4 Bft.). Meist passe ich die Segelfläche nicht sofort an, sondern warte erst einmal eine Weile ab, um zu sehen ob das so für eine Weile bleibt. Ab 5 Beaufort ungefähr, verändere ich die Segelfläche nur noch, wenn es nicht anders geht, denn es ist eine ordentliche Anstrengung, gerade wenn die Segelfläche verkleinert, also gerefft werden muss. 

Hinzu kommt, dass sich die Segel bei viel Wind nicht mehr so sauber aufrollen lassen, was dauerhafte Knicke im "Tuch" hinterlässt. Das macht die Segel dann auch über die Jahre lappig, bis sie kaum noch ordentlich im Wind stehen. Ein neuer Segelsatz (beste Cruising-Qualität, aber kein Laminat) liegt bei uns so um die 10.000 Euronen. Bei sorgsamen Umgang rechne ich mit etwa 10 Jahren Nutzung.



Etwa 3 Seemeilen südlich von Helsingør, ich fahre immer noch mehr oder weniger "hart am Wind", treffe ich auf einen Wald von Fischerfähnchen im Wasser. Ich versuche gleichzeitig meinen Kurs zu halten und die Fähnchen zu Umschiffen. Unter jeder Fahne besteht eine Leinenverbindung zu einer auf Grund liegenden Reuse. In diesen Leinen möchte man sich nicht verheddern. Doch alles geht gut.


Diese Fahnen sind okay, weil sie rot sind. Manche Fischer nehmen auch "Signal-Schwarz", vielleicht ein Sonderangebot beim nächsten Fishermen´s Euroshop. Die sind dann selbst am Tage über der dunklen Wasseroberfläche nur schwer auf größere Distanz auszumachen. Manchmal wünschte ich mir dann einen großen Notaus-Schalter (altmodisch für #buzzer) für den Autopiloten, um das Steuer schnell rumreißen zu können, was bei eingeschaltetem Autopiloten nicht geht.

 

Gegen halbvier Uhr westlich der Insel Haken. Acht Stunden bin ich jetzt unterwegs und dem Ziel um rund 55 Seemeilen (102 km) näher. Rund ein Drittel der Gesamtstrecke ist geschafft ...


Immer wieder gibt es aber auch Momente der Entspannung und des Genusses ...


Doch zuviel Genuss ist auch nicht gut und so bietet sich mir eine Stunde später, es ist gerade halbfünf Uhr, wenige Seemeilen nördlich von Kopenhagen, dieses Bild.


Zeit die Regenkleidung anzuziehen. Ich bin gerade unter Deck, um in meine regendichte Segellatzhose zu steigen, da wird Ari von einer Böe erfasst und auf die Seite gelegt. Durch das Fenster im Rumpf kann ich bereits unter die Wasseroberfläche sehen. Die Latzhose hängt mir noch in den Kniekehlen, als ich zunächst vom Salon-Sofa auf den Boden rutsche. Ich ziehe mir die Hose auf Hüfthöhe und halte sie so mit einer Hand fest, während ich mit der zweiten Hand versuche mich am Handlauf des Niedergangs hochzurangeln, um bei immer noch viel zu viel Schräglage irgendwie ins Cockpit an den Steuerstand zu kommen.

Doch der Autopilot gibt sein Bestes und schafft, bevor ich dort bin, das Boot wieder einzufangen. Ich öffne schnell das ohnehin bereits zur Hälfte gereffte Großsegel, um im Fall einer zweiten Böe weniger Winddruck zu haben. Wie nach einem Feueralarm stürme ich wieder unter Deck. Hose hochziehen, Segelstiefel anziehen, denn ich bin noch auf Socken. Segeljacke und Rettungsweste komplettieren meine Ausstattung. Ich bin wieder voll einsatzbereit. Die Böe hat mich tatsächlich im denkbar ungünstigsten Zeitpunkt erwischt.

Schnell wieder hoch ins Cockpit. Dort bietet sich gerade dieser Anblick und es gießt sprichwörtlich, wie aus Kübeln. Wegen der kaum noch vorhandenen Sicht muss ich nochmal "runter", um am Navigationstisch die Positionsleuchten anzuschalten, damit ich besser gesehen werde.


Ich halte Ausschau, ob ich irgendwo ein anderes Boot ausmachen kann. Das ist im Augenblick nicht der Fall - kann sich aber sekündlich ändern und dann ist bei der Sicht die Reaktionszeit kurz.

Ich schaue abwechselnd immer wieder auf den Plotter. Ich befinde mich auf einer freien Seefläche und kann den Kurs beibehalten. Schiffe und Boote mit AIS sind nicht in meiner direkten Nähe. Das ist schon mal gut.

Leider, und das betone ich immer wieder, gibt es noch viele private Bootseigner, die einen aktiven AIS-Transponder, der sie für alle anderen Schiffsführer auf dem Plotter sichtbar machen würde, für Luxus halten. Für rund 1.000 Euro ist man dabei, aber dafür schafft sich so mancher Eigner lieber eine Soundanlage oder einen Eiswürfelbereiter an.

Wie sagte mal der stolze Besitzer einer Contest 45 sinngemäß zu uns. Wenn du an Bord einen Eiswürfelbereiter besitzt, hast du´s geschafft! Ja gut, der hatte aber auch AIS an Bord 😉

Also halte ich weiter Ausschau und entdecke auch mehrere Kleinboote, die meinen Weg kreuzen, aber immerhin so weit weg sind, dass sich ein Ausweichen erübrigt.


Vielleicht eine Viertel Stunde später ist der Spuk vorbei. Es nieselt nur noch. Ich befinde mich kurz vor Kopenhagen. Von hinten kommt diese klassische Segelyacht in der Art eines schwedischen Schärenkreuzers auf. Sie fährt unter US-Flagge und ist deutlich größer als die Schärenkreuzer. Ein Blick in die AIS-Daten verrät eine Länge von 69 Fuß, also 21 Metern. Dementsprechend schnell pflügen zwei freundlich winkende Personen relativ dicht an mir vorbei, denn sie wollen vor mir noch nach steuerbord in die Zufahrt zu den Häfen Kopenhagens abbiegen.


Beeindruckend ...




Genauso eilig hat es ein Schlepper, der aus Kopenhagen kommend, raus auf See will. Unsere Kurse kreuzen sich in recht engem Abstand. Er muss es sehr eilig haben und fährt etwa 100 Meter vor mir durch. Es ist ein großer Schlepper und ich lasse kurz die Gopro mitlaufen, um eine weitere Szene für den Urlaubsfilm zu haben. Nichtsahnend mache ich sie nach wenigen Sekunden wieder aus. Leider. Denn jetzt kommt die Welle eines relativ kurzen und schweren Verdrängers mit großer Motorleistung, der bei schneller Fahrt tief im Wasser liegt. Und diese Welle schwappt mir dann tatsächlich einfach mal so über das Vorschiff. Nicht ein großer Wasserspritzer, sondern das gesamte Vorschiff steht für zwei, drei Sekunden unter einer kompletten Wasserschicht. Das habe ich bisher auch noch nicht erlebt. Aber gut, Ari ist ein Boot mit Offshore-Zulassung. Das muss es abkönnen! Die Mariner hingegen, hätte man damit, so glaube ich, versenkt.


Oben: Ein Blick zurück auf die Øresundbrücke. Im Hintergrund sieht man die Umrisse von Malmø. Das heißt ich befinde mich schon am südlichen Ausgang des Øresunds in der Südlichen Ostsee.

Der Wind hat jetzt deutlich aufgefrischt. Grundwind so um die 12 - 17 Knoten. Die Böen durchschnittlich 22 Knoten (6 Beaufort). Beide Segel sind inzwischen auf etwa ein Drittel ihrer Fläche gerefft. Ari lässt sich gut steuern.

Inzwischen ist es 19:00 und ich umrunde die Landspitze südlich von Kopenhagen. Hier muss ich "höher an den Wind gehen", um an dem noch weiter südlich gelegenen Verkehrstrennungsgebiet vorbei zu kommen. Ein anderer Weg bleibt mir nicht, denn im Osten läuft das schwedische Festland in einem riesigen Flachwasserbereich nach Süden hin aus. Diesen Flachwasserbereich hat man dann auch dazu genutzt, zwei ebenfalls riesige offshore Windparks zu errichten. Dort ist kein Durchkommen möglich.

Ich ändere meinen Kurs daher von 175° auf 195°. Die Segel stehen gerade noch so ohne zu flattern, aber Vortrieb habe ich kaum noch. Ich bin zu hoch am Wind, muss aber in diese Richtung und kann auch wegen verschiedener Untiefen südlich von Kopenhagen und des ein- und auslaufenden Schiffsverkehrs nicht kreuzen. Ich will es auch nicht, denn ich habe hier erst Halbzeit bezogen auf die gefahrene Strecke. Wie lange ich für die zweite Hälfte brauche weiß ich nie, denn das bestimmt der Wind. Also teile ich mir meine Kräfte ein, wähle den direkten Weg und ...

Ich starte den Motor zur Unterstützung.


Die Kombination von Motor und Segel funktioniert gut, denn durch die höhere Bootsgeschwindigkeit wandert der scheinbare Wind genau soviel, dass die Segel wieder richtig Vortrieb geben. So erreiche ich gegen die inzwischen rund einen Meter hohe See bis zu 7 Knoten Fahrt und falle nie unter 5,5 Knoten. Das muss ich jetzt 10 Seemeilen, knapp 1,5 Stunden durchhalten. Dann habe ich den westlichsten Punkt des VTG erreicht (s. Karte) und kann wieder auf "normal segelbare" 185° abfallen.

Am südlichen Ende des VTG ist nichts los und ich kann die Ausfahrt ungestört Richtung Südost kreuzen.


Die Sonne ist kurz vor dem Untergehen - um Viertel vor zehn. Daran muss ich mich nach sechs Wochen Skandinavien erst noch gewöhnen. Finstere Nächte gab es seither nicht mehr.

Am unteren Bildrand kann man noch die Kreideküste des dänischen Møns Klint erkennen, dem Pendant zu den Rügener Kreidefelsen, auch Königsstuhl genannt. An dieser Küste liegt wenige Seemeilen südlich der Hafen Klintholm; ein beliebter Anlaufpunkt für Segler.

Und ich habe in der Nacht einen ständigen Begleiter, denn der Himmel ist nur leicht bewölkt.



Etwa 10 Seemeilen später, es mag so etwa 23 Uhr sein, habe ich das nächste VTG vor mir und das ist richtig gut befahren. Dieses VTG bündelt den Schiffsverkehr für die gesamte östliche Ostsee. Im Abstand von wenigen Seemeilen reiht sich ein Schiff an das Nächste. Ich muss dazu sagen, dass ich nicht das VTG selbst kreuze, sondern nur die Fahrspuren, die zwei VTG´s mit einander verbinden. In der ersten "Fahrspur" Richtung südwest findet sich zufällig die passende Lücke und ein Frachter und Ari passieren mit minimal 1,3 Seemeilen Abstand. 

Doch "auf der anderen Straßenseite", dass habe ich über AIS bereits seit über einer halben Stunde im Blick, will es nicht so richtig passen. Richtung nordost pendelt zu dem entscheidenden Frachter der errechnete Minimalabstand "CPA" so um die 0,2 bis 0,4 Seemeilen. Viel zu wenig. Bisher hat dort niemand mit einem Kurswechsel reagiert, weil ich noch weit genug weg bin. 

Zeit für mich über Alternativen nachzudenken. Ich rechne kurz durch und stelle fest, dass ich früher im Norden von Hiddensee ankommen werde, als ich möchte. Ich hatte mir vorgenommen erst nach Sonnenaufgang durch die engen Fahrwasser Hiddensee´s zu fahren. Die Fahrrinnen dort sind nur etwa 30 bis 40 Meter breit. Direkt daneben Untiefen auf denen Möwen im Wasser stehen können. Das mache ich alleine nur unter Motor und auf keinen Fall bei Dunkelheit.

Wie drosselt man als Segler seine Geschwindigkeit? Man refft die Segel oder holt eines ganz ein. Letzteres tue ich dann auch und fahre nur noch unter Vorsegel. Das reduziert meine Fahrt bei derzeit relativ konstanten 4 Beaufort auf gut 6 Knoten. Ein Blick auf das AIS bestätigt jetzt einen Minimalabstand zum Frachter von etwa 0,8 Seemeilen (rund 1,5 km). Das ist in der Nacht gut und angemessen und der Frachter muss mir nicht einmal ausweichen. 😊


Die Nacht verläuft unspektakulär. Zwischen drei und vier Uhr Morgens stelle ich mir vier mal den Wecker auf 15 Minuten und lege mich auf die Sitzbank im Cockpit. Weniger, weil ich so müde bin, als vielmehr, weil mein Oberkörper langsam aber sicher erlahmt. Seit knapp 20 Stunden bin ich jetzt unterwegs. Das ständige Geschaukel an Bord beansprucht die Mikromuskulatur im Körper und die sagt mir gerade: Ich kann nicht mehr!

Also lege ich mich hin, um den Körper zu entspannen. Damit ich, falls ich doch einschlafe, geweckt werde, läuft der Handy-Timer. Nach 15 Minuten klingelt es - theoretisch, denn ich schlafe nicht ein und bin jedes Mal nach rund 10 Minuten wieder am Steuer um kurz zu schauen ob rundherum im Seeraum alles frei ist. Ist es - also lege ich mich wieder hin. Tatsächlich fühle ich mich eine Stunde später relativ fit und fast als hätte ich ein wenig geschlafen.

Der Tag begrüßt mit mit einem spektakulären Sonnenaufgang. Das Foto oben ist im Neutralmodus meiner Panasonic aufgenommen und nicht nachbearbeitet worden.

Dann ist auch noch Zeit für einen Frühstückshappen ...

Ich stelle erfreut fest, dass es bis zur nächsten Brückenöffnung in Stralsund noch mehr als drei Stunden Zeit sind. Die Ziegelgraben-Klappbrücke öffnet sechs Mal täglich und ist die einzige Durchfahrtsmöglichkeit der Schifffahrt, wenn man südlich von Rügen durch den Strelasund will oder muss.

Jetzt kommt wieder das Tablet mit der Routennavigation zum Einsatz. Dort kann ich ablesen, wann ich die einzelnen Punkte meiner vorher festgelegten Route erreiche, wenn ich in der aktuellen Geschwindigkeit konstant weiterfahre. Da ich jetzt unter Motor fahre, muss ich die Geschwindigkeit so lange drosseln, bis die passende Ankunftszeit errechnet wird. Da es auf dem Wasser keine Staus gibt - immer zuverlässig! So fahre ich also ganz gemütlich die letzten Meilen, um kurz vor der Brückenöffnung um 8:20 dort zu sein.


Oben: Panorama des Hafens von Strasund

Unten: Die über 4 Kilometer lange Rügenbrücke und das Gebäude der MV Werft. Unter der Rügenbrücke können aufgrund der Höhe alle Schiffe ungehindert durchfahren. Die Ziegelgrabenbrücke, um die es hier geht, ist das hammerförmige Gebilde links unterhalb des Hauptpfeilers der Rügenbrücke.



Hinter der Brücke passt dann tatsächlich noch der Wind und ich kann noch einmal bis Neuhof die Segel setzen. Um 9:33 liege ich fest vertäut in meiner Box und es heißt im Logbuch: Motor aus.

Für die insgesamt 169,9 Seemeilen von Halmstad nach Neuhof habe ich rund 26 Stunden benötigt. Ohne die mit der Brückenöffnung verbundenen Zeiten des Langsamfahrens und der kurzen Wartezeit, aber auch dem Klarmachen des Bootes beim Ab- und wieder Anlegen, wäre die Gesamtdistanz wohl auch in 24 Stunden bei gleichen Bedingungen zu schaffen gewesen. Aber das war ja auch keine Regatta sondern ein Cruising-Törn. Trotzdem eine gute Segelleistung der "alten Lady Bavaria"

Doch jetzt drängen mich noch drei wichtige Dinge: 

Ein guter Kaffee als Ersatz für das Anlegerbier, eine heiße Dusche und ein ausgiebiges Frühstück und zwar genau in dieser Reihenfolge.

Der Törn endet hier. Vermutlich gibt es noch einen weiteren Post mit ein paar statistischen Daten zum gesamten Urlaub. Ansonsten geht es mit größeren Segelaktivitäten erst in 2023 weiter und damit auch mit diesem Blog.

Bleibt mir gewogen.

Euer Harry





Samstag, 2. Juli 2022

02. Juli 2022 HALMSTAD

Samstag, 02. Juli

 

ich glaube, wir waren im Rahmen unserer Segelreisen einfach an zuvielen Orten, um sich an jeden einzelnen genau erinnern zu können. Besser gesagt, an zu vielen Orten, um jeden Ort auch mit der richtigen Erinnerung zu verbinden. 

Schrieb ich noch im Post von Dienstag etwas über einen wirklich sehenswerten Wasserfall durch den der Nissan hier in Halmstad unterbrochen würde, so habe ich das inzwischen korrigieren müssen. Bei meiner heutigen Runde durch Halmstad, die mich unter anderem auch durch die von mir bereits erwähnten Parkanlagen führte, glaubte ich an einer Stelle auf den erwarteten Wasserfall zu treffen. Nur ging die Parkanlage anders weiter, als ich sie in Erinnerung hatte und endete an einem Sportplatz mit mehreren Fußballfeldern.

Nach kurzem Nachdenken musste ich mir dann eingestehen, ich bin in der falschen Stadt. Mir wird ganz schnell klar: "Das mit dem Wasserfall kann dann nur in Turku (FIN) gewesen sein!". Gerade habe ich das dann in diesem Blog recherchiert um festzustellen: "Turku hat auch keinen Wasserfall in der Stadt". Egal. Irgendwo, wo wir mal waren, war es sehr schön an diesem Wasserfall und irgendwann werden wir wahrscheinlich sehr überrascht sein, wieder auf diesen zu treffen. Vermutlich an einem Ort, an dem wir ihn gar nicht erwartet hätten. 😏 Soviel zum Thema: "Ich erinnere mich genau!" 😂


Was ich sicher weiß, ich bin in Halmstad ...



Wenn ich morgens ins Cockpit steige, erwartet mich dieser ältere und gut sanierte Ziegelbau einer öffentlichen Verwaltungsstelle am gegenüberliegenden Flussufer des Nissan....


Zu meiner Linken blicke ich Richtung Süden auf den Industriehafen, durch welchen wir gefahren sind, um hierher zu kommen. Ganz links, einige Stellplätze für Wohnmobile ...

Zu meiner Rechten, liegt nördlich der Stadthafen für private Yachten, in welchem es auch Gästliegeplätze gibt ...

 

 Ein historischer Hafenkran ...


Der Gästehafen endet, zumindest für Segelboote, an einer flachen Straßenbrücke. Zur besseren Orientierung füge ich mal den Kartenausschnitt meiner heutigen Erkundungstour ein. Die "rote Route" hat insgesamt 7,3 km Streckenlänge.


 Auf der gegenüberliegenden Seite findet man das Schloß Halmstad. Halmstads Slott hatte der dänische (!) König Christian IV in der Zeit von 1609 bis 1615 erbauen lassen. Viele Informationen lassen sich zu diesem Schloß nicht finden. Geöffnet wird es nur für Besuchergruppen.

 Wir begnügen uns einfach mal mit den Außenansichten. Der Schloßpark selbst ist nur interessant für Besucher, die schon alles andere in Halmstad erkundet haben.




 

 

 Wenige Meter südlich des Schlosses befindet sich die Kronobränneriet in Halmstad. Die Krono-Destillerie war eine von sechzig Staatsbrennereien, die in Schweden nach einem Beschluss von Gustav III 1778 gebaut, und ab 1787 wegen Unrentabilität geschlossen wurde. Kein Wunder bei den schwedischen Preisen für Hochprozentiges.

Aktuell befinden sich kleine Geschäfte, eine Kunstgalerie und eine Malschule in diesem Gebäude.
 

 Wir sind wieder zurück an der "Schlossbrücke". Auch so kann Kunst aussehen. Ein Kaffeetisch mit Bestuhlung und Gedeck ... (hielte in Berlin vermutlich keine 5 Minuten unzerstört durch) ...


 


 Dieses rote Fahrrad dient einer Aktion mit Aufruf zum Radfahren. Wer sich hier mit dem eigenen Rad fotografiert und das Ganze hochläd, kann gewinnen ...


 
So kombiniert man hier am Nissan neue und alte Architektur ...

 ... und so kann Graffiti auch mal gut aussehen ...

 

 

 

 




 In der Storgatan 40 finde ich dann das Paradies für Katrin. Das (angeblich) gemütlichste Café, Konditorei & Schokoladenwerkstatt der Stadt in einem Fachwerkhaus aus dem 18. Jahrhundert. Bankgatan1 (siehe Karte unten oder ...) http://www.skanskan.nu/chokladverkstan-16604184

 

 Das historische Stadttor Norre Port steht im nördlichen Teil der Altstad. Halmstad war lange Zeit ein dänischer Außenposten und von großer Bedeutung für das dänische Königreich. Das Stadttor Norre Port wurde daher vom dänischen König Christian IV. (1577 – 1648) in Auftrag gegeben und 1601 fertiggestellt. Es war Teil der Stadtbefestigung, von der sich im benachbarten Park Norre Katt noch weitere Überreste befinden. Der Park schließt nordöstlich an das Norre Port an und ist ein kleines Naherholungsgebiet direkt am Fluss Nissan.

 

 

 Norre Katts Park ...


 

Nur um ganz sicher zu gehen. Ja, ich bin noch in ...

... genauso, wie diese badende Dame im Park ...



 


Zurück in der Altstadt gefällt mir auch diese Passage gut. Hofseitig hat man hier ehemalige Gewerbebetriebe für die Gastronomie umgebaut.

 

 

 Und auch das gehört zur Altstadt ...





 

 Meine "Bergfex App" mit der ich sonst meine Joggingrunden und Bergtouren aufzeichne, attestiert mit für die knapp zweieinhalbstündige Fotorunde einen Verbrauch von 1.130 kcal. Für diesen Kalorienverbrauch hätte ich die Distanz von 7,3 km vermutlich durchschwimmen müssen. Egal - es ist ein guter Vorwand sich ein üppiges Abendessen zu gönnen.

Zum Beispiel ein kleines Flanksteak mit angeröstetem Zwiebelmais, Worchestersauce und grünem Pfeffer. Bon Appetit ...

 

Bleibt mir gewogen und weiterhin neugierig. Danke für´s Interesse.

Harry